Erich von Stroheims Regiedebüt Blind Husbands, ein Beziehungsdrama vor der Alpenkulisse Südtirols, verblüfft auch heute noch ob seiner präzisen visuellen Sprache und seiner moralischen Ambivalenz. Die vorliegende DVD-Edition präsentiert den Stummfilm in einer prachtvoll erhaltenen und viragierten österreichischen Fassung von 1921. Unter dem Titel Die Rache der Berge (Blinde Ehemänner) mit deutschen Zwischentiteln veröffentlicht, stellt diese Fassung die derzeit älteste und am vollständigsten erhaltene Kopie des Films dar. Die Bonusmaterialien der DVD liefern zusätzliche Informationen zu Erich von Stroheims Werk und zur Rezeptionsgeschichte des Films. Der ROM-Sektor der DVD enthält vertiefende Studienmaterialien zum Film.
Der Film
Blind Husbands / Die Rache der Berge (Blinde Ehemänner) - USA 1919 - Drehbuch und Regie: Erich von Stroheim, nach seiner Geschichte "The Pinnacle" - Kamera: Ben F. Reynolds - Darsteller: Sam de Grasse, Francelia Billington, Erich von Stroheim, Fay Holderness, Richard Cummings - Produktion: Universal-Jewel Production de Luxe - Premiere: 21. Oktober 1919
Über den Film
Zwei Unterschiede zwischen dieser österreichischen Fassung und der allgemein verbreiteten amerikanischen Fassung fallen sofort auf: Sie unterscheiden sich in der Sprache der Zwischentitel sowie in der Länge. Letztere beträgt bei der amerikanischen Fassung 1883 Meter, was bei 18 Bildern pro Sekunde immerhin einen Unterschied von etwa 7 Minuten zur österreichischen Version mit 2045 Metern ergibt. Gingen wir ursprünglich von einem vernachlässigbaren Unterschied aus, der sich durch die unterschiedlich langen Zwischentitel ergibt, so erwies sich im direkten Vergleich, daß die österreichische Fassung auch in punkto Einstellungslängen sowie in der Montage einzelner Szenen von der amerikanischen Version abweicht. Aber wie kommt es, daß die spätere Sprachfassung eines kanonischen US-Stummfilms länger ist als die "Originalfassung" - obwohl gerade Blind Husbands als der einzige "originalgetreu" überlieferte Film Stroheims gilt?
Die allgemein bekannte amerikanische Version von Blind Husbands entspricht nicht der Premierenfassung von 1919. Diese wenig bekannte Tatsache wurde von Richard Koszarski bereits 1983 publiziert. Der Film wurde 1924 von Universal Pictures in einer um 1365 Fuß (416 Meter) gekürzten Fassung wiederveröffentlicht. Dies entspricht einer Dauer von 20 Minuten bei 18 Bildern pro Sekunde! Koszarski dazu: "Titles were altered, snippets of action removed and at least one major scene taken out entirely, where von Steuben and Margaret visit a small local chapel." Beim derzeitigen Forschungsstand kann man davon ausgehen, daß sämtliche bekannten amerikanischen Kopien des Films von dieser gekürzten Re-release-Fassung abstammen, von der Universal 1941 dem Museum of Modern Art eine Kopie übergab. Laut Koszarski wurde das Originalnegativ des Films zwischen 1956 und 1961 zerstört und ist somit unwiederbringlich verloren.
Diese Information wirft ein interessantes Licht auf die Fassung des Österreichischen Filmmuseums, die sich auf den Zeitraum Sommer 1921/Winter 1922 datieren läßt. Zudem ist diese Fassung um 162 Meter länger als die US-Fassung von 1924. Zwar weicht auch die Länge der Zwischentitel ab, aber da in der Kopie wiederum der gesamte amerikanische Vorspann fehlt, beträgt der effektive Längenunterschied rund 200 Meter, also etwa 9 bis 10 Minuten und liegt die somit nicht nur zeitlich, sondern auch in ihrer Länge ziemlich genau zwischen der (verlorenen) Premierenfassung und dem Re-Release.
Ein Großteil der zusätzlichen Spieldauer geht auf kleine Kürzungen zurück, die in der Version von 1924 fast bei jeder Einstellung vorgenommen wurden: Anfang und Ende der Szenen wurden, "getrimmt", um das Tempo des Films zu steigern. Ungleich spannender war jedoch die Entdeckung, daß die österreichische Fassung zusätzliche Einstellungen enthält, die in der amerikanischen fehlen - Schuß/Gegenschuß-Paare, Zwischentitel - und darüber hinaus auch in der Montage (also der Plazierung einzelner Einstellungen innerhalb einer Sequenz) Unterschiede aufweist. All dies deutet darauf hin, dass Die Rache der Berge das derzeit älteste und vollständigst erhaltene Material des Films darstellt.
Paolo Caneppele / Michael Loebenstein
DVD-Features
- Blind Husbands (Die Rache der Berge) 1919 (1921), 99'
- Musikbegleitung von Günter A. Buchwald
- Kapitelauswahl
- Versionenvergleich 2006, 10'
- Amerikanischer Vorspann zu Blind Husbands 1919, 1'
- Stroheim in Wien 1948, 1'
- Dokumente und Fotos zum Film
- 20seitiges Booklet mit Aufsätzen von Alexandra Seibel, Paolo Caneppele und Michael Loebenstein
- DVD-ROM-Bereich (PC +Macintosh) mit folgenden PDF-Files:
Die Überlieferungsgeschichte des Films (6 Seiten)
Vergleich der Zwischentitel der amerikanischen und der österreichischen Fassung (10 Seiten)
Pressespiegel 1919-1922 (30 Seiten)
Das Kinoprogramm in Wien vom Januar bis März 1922 (15 Seiten)
Pressespiegel über Erich von Stroheims Wien-Besuch am 10. Juli 1948 (6 Seiten)
Aleksandr Derjabin: Erich Stroheim; Moskau 1927 (8 Seiten)
Jon Barna: Erich von Stroheim; Wien 1966 (120 Seiten)
Fotos aus der Filmkopie zum Download
Herausgeber: Österreichisches Filmmuseum, Wien
DVD-Authoring: Ralph Schermbach
DVD-Supervision: Michael Loebenstein
1. Auflage Oktober 2006, 2. Auflage Juni 2007, 3. Auflage August 2011
Besprechungen