Panzerkreuzer Potemkin & Oktjabr'

Panzerkreuzer Potemkin & Oktjabr'

Edition Filmmuseum 82

Die beiden legendären Filmklassiker von Sergej Eisenstein sind durch die innovativen und kongenialen Begleitmusiken von Edmund Meisel berühmt geworden. Erstmals präsentiert die Doppel-DVD die originale deutsche Schnittfassung von Panzerkreuzer Potemkin mit der von Helmut Imig rekonstruierten Orchestermusik sowie die von Meisel selbst auf genommene Tonfassung, in der seine Musik mit nachvertonten Geräuschen und Dialogen kombiniert wurde. Zum einzig erhaltenen Fragment der deutschen Fassung von Oktjabr' ertönt die originale Klavierdirektion, für die aufwändig rekonstruierten Originalfassung des Films dirigierte Frank Strobel die die von Bernd Thewes bearbeitete und ergänzte Orchesterpartitur. Im Booklet und im ROM-Bereich finden sich Essays und Dokumente über das Wirken von Eisenstein und Meisel.

Die Filme

Bronenosec Potemkin / Panzerkreuzer Potemkin - UdSSR 1926 - Drehbuch und Regie: Sergej Eisenstein - Kamera: Eduard Tissé - Darsteller: Aleksandr Antonov, Grigorij Aleksandrov, Vladimir Barskij, Michail Gomorov, I. Bobrov - Produktion: Goskino, Moskau - Uraufführung: 24.12.1925, Moskau (Bolschoi-Theater) - Deutscher Kinostart: 29.4.1926, Berlin (Apollo-Theater) - Kinostart deutsche Tonfassung: 12.8.1930, Berlin (Marmorhaus)

Oktjabr' / Zehn Tage, die die Welt erschütterten - UdSSR 1928 - Drehbuch und Regie: Sergej Eisenstein, Grigorij Aleksandrov - Kamera: Eduard Tissé - Darsteller: Nikolai Popov, Vasilij Nikandrov, Boris Livanov, Nikolaj Podvojskij, Eduard Tissé - Produktion: Sovkino, Moskau - Uraufführung: 14.3.1928, Moskau (Bolschoi-Theater) - Deutscher Kinostart: 2.4.1928, Berlin (Tauentzien-Palast)

Vintik-Shpintik / Die kleine Schraube - UdSSR 1927 - Regie: Vladislav Tvardovskij - Drehbuch: Nikolaj Agnivcev, nach seinem Gedicht - Kamera: Yevgenii Bogorov - Animation: Vjaceslav Kuklin, Sergej Zukov, Igor Sorochtin, Aleksandr Presnjakov - Produktion: Sovkino, Leningrad - Uraufführung: 2.5.1927 - Deutscher Kinostart: 12.8.1930, Berlin (Marmorhaus)

Über Edmund Meisel

Edmund Meisel, Kapellmeister und Komponist zugleich, ragt aus dem Kinomusikalltag der 1920er Jahre heraus, in vielerlei Hinsicht. Die Kinomusik der 1920er Jahre war geprägt von Potpourris des klassisch-romantischen Repertoires und von neuen Musiken zeitgenössischer Kino-Komponisten, die in eklektizistischer Manier eben diesen Stilen verpflichtet waren. Meisel, von der Filmindustrie zum avantgardistischen Aushängeschild gestempelt, genoss daher besonders große Aufmerksamkeit - besonders von Seiten der Kritiker. Und diese waren, was Meisels Kompositionen betraf, selten einer (guten) Meinung. Kurt Weill verurteilte Meisels Berlin. Die Sinfonie der Großstadt als unnötig illustrative Bild-Dopplung, Klaus Pringsheim schrieb mit "Musik oder Meisel" einen Verriss par excellence gegen Meiselund seine Musik zu Zehn Tage, die die Welt erschütterten. Meisels häufiger Verzicht auf klassische Kompositionsmethoden wurde als "mangelndes Talent" und "Scharlatanismus" fehlgedeutet. Meisels Leistung, stets neue Ausdrucksmöglichkeiten der Filmmusik zu suchen, wurde nicht gewürdigt, sondern meist mit neidvollem Hohn und Spott bedacht. Meisel war Avantgardist durch und durch, wurde aber von den Avantgardisten der ernsten Musik nicht sonderlich ernst genommen (eine Ausnahme bildet Kurt Weill, der sich von Meisels Mann Ist Mann-Bühnenmusik sehr beeindruckt zeigte).

Bedauerlicherweise liegt Meisels filmmusikalisches Werk heute nur noch als Torso vor. Einerseits war die Archivierung von Film und Musik noch keine Selbstverständlichkeit, andererseits verschwand mit dem Siegeszug des Tonfilms das Interesse an den Werken der Stummfilmkomponisten jener Tage. Wenn überhaupt, dann liegen uns die "Originalmusiken" zu Stummfilmen heute nur als Klavierdirektionen oder in unvollständigen, handschriftlichen Orchesterstimmen vor. Klavierdirektionen der Originalmusiken dienten den Kapellmeistern im Kino als Partitur-Ersatz, da sie übersichtlicher als Partituren waren. Partituren wurden daher fast nie gedruckt und die Orchesterstimmen nach Ablauf der Leihfrist irgendwo gelagert oder gar vernichtet. Meisels Werk hat besonders gelitten: Seine Theatermusiken sind bis auf einige titelgebende Chansons gänzlich verschollen, seine erhaltenen Filmmusiken kennen wir heute nur in Bearbeitungen der Klavierdirektionen, die neu instrumentiert und an längere Filmfassungen angepasst, umgestellt, verlängert und präzessiert sind. Meisel selbst ist zum "geistigen Vater" der Bearbeiter und Neu-Komponisten degradiert.

Die unvollständig erhaltenen Orchesterstimmen von Panzerkreuzer Potemkin und Zehn Tage, die die Welt erschütterten fanden bei den Musik-Rekonstruktionen, nicht zuletzt aus rechtlichen Gründen, bis heute kaum Beachtung. Und dabei sind es neben der Berlin. Die Sinfonie der Großstadt eben diese beiden kühnen "Zusammenarbeiten" von Meisel und Eisenstein, die den Namen des Komponisten lebendig halten. Eine Zusammenarbeit in Briefform zwischen Moskau und Berlin. Meisel war sehr bemüht, Eisenstein seine Musiken zu Gehör zu bringen, und so gelangten Stimmenmaterialien auch in das heutige Eisenstein-Archiv in Moskau, wo Panzerkreuzer Potemkins Musik in der ursprünglichen Salonorchesterfassung und Zehn Tage, die die Welt erschütterten in einer Kammerbesetzung überlebt haben. Im British Film Institute fand sich dazu ein fast kompletterer Orchestersatz des Stimmenmaterials der Partitur zu Zehn Tage, die die Welt erschütterten. Beide Musiken wurden seit Ende der 1970er Jahre mehrfach rekonstruiert und auf verschiedene Filmrekonstruktionen angelegt.

Meisels Spielfilmmusikdebüt Panzerkreuzer Potemkin war entscheidend für die Siegesfahrt dieses Films, der seinen Weltruhm von Berlin aus Meisels im wahrsten Sinne des Wortes "schlagkräftiger" Musik zu verdanken hatte. Die detailreiche, in 12 Tagen und Nächten zunächst für Salonorchester (inklusive drei Schlagmusiker!) geschriebene Partitur sprüht von effektreicher Erfindungsgabe. Die Harmonik ist kühn, die Struktur ist durchdacht und stark leitmotivisch geprägt. Meisel war ein Meister der absoluten Verzahnung von Bild- und Musikrhythmen, besonders beim Dirigieren. Wobei seine Musik auffallend geräuschhaft gedacht ist, aber weit über eine reine Illustration des Bildes hinausgeht. Eisensteins Bilder kochende Suppe, Matrosen beim Essen, die Vision der Erhängten bekommen eine psychologische Dopplung sondergleichen, die durchaus dem Duktus der Zeit verpflichtet ist, aber weit darüber hinaus geht. Die Harmonik der Potemkin-Musik entfernt sich vom klassischen Kontrapunkt und einer erweiterten spätromantischen Tonalität.

Die enge Zusammenarbeit zeigt sich auch in Meisels Verarbeitung der von Eisenstein vorgeschlagenen Revolutionslieder: das polnische Revolutionslied "Warszawianka", das französische "La Carmagnole", der Trauermarsch der 1905er Revolution "Unsterbliche Opfer", das russische Lied "Dubinuka" sowie die Anfänge von "Brüder, zur Sonne, zur Freiheit" und der "Marseillaise". Auch den Choral "Jesu, deine Zuversicht" von Johann Crüger verfremdet Meisel in der Teller-Waschszene und später zum Foxtrott für den Schiffsgeistlichen.

1930 betreute Meisel die deutsche Tonfassung des Panzerkreuzer Potemkin, kürzte seine Musik drastisch zugunsten von Sprache, kombinierte sie akzentuiert geräuschhaft mit Chor und Sprechchor und verwendete dabei sogar das Hauptthema seiner Musik zu Zehn Tage, die die Welt erschütterten als "Ouvertüre" und als choralartige Reminiszenz in der Erschießungs-Szene. Auch die Kaukasier-Musik der Zehn Tage, die die Welt erschütterten findet beim Eintreffen der Fischerboote am Panzerkreuzer eine neue Verwendung. Meisel entpuppt sich als Tonfilmvisionär, indem er die Musik gezielt ein- und aussetzen lässt und nur ausgewählte Sequenzen und Akzente musikalisch begleitet. Verglichen zur ursprünglichen Musik stellt diese Bearbeitung ein ganz neues Werk dar.

Die lange nicht zugängliche Musik zu Zehn Tage, die die Welt erschütterten ist die Wiederentdeckung einer der interessantesten Partituren der Filmgeschichte überhaupt. Ihr überwiegend marschartiger Charakter kann leicht über den filigranen Aufbau und die bestechend, teils leitmotivisch aufgebaute Struktur hinwegtäuschen. Hier wechseln sich ironische Verzerrungen (bei Kerenskij), musikalische Parodien (Operettenanklänge, oder die verballhornte "Marseillaise") und süßliche Passagen (zu Rodins "Le Printemps") mit gröbstem bruitistischem Ein-Ton-Marschgestampfe ab, finden sich kaukasisch klingende Volkstänze und zahllose in Quint-Quart-Parallelen geführte Motive. Letztere sollten auch bei Zeitgenossen wie beispielsweise Hanns Eisler einen proletarisch revolutionären Gestus evozierten, bei Meisel ist dies jedoch Programm: Seine Musik sollte der Ausdruck einer neuen, proletarischen Zeit sein, fern des spätromantischen Schwelgens im Kinosaal. Bei Kritik und Publikum fiel sie allerdings durch.

Ein Grund für das Missverständnis gegenüber Meisels Musik findet sich in den überlieferten Stimmenmaterialien, die seinerzeit unter großem Zeitdruck hergestellt von unzähligen Fehlern durchsetzt sind. Die Aufführungen müssen eine Qual, wenn nicht gar ein Chaos gewesen sein. Dies erklärt Pringsheims vehemente Kritik: "'Atonal'? Nun gewiss, es wimmelt von falschen Tönen, in jedem Takt, an jedem Pult werden falsche Noten gespielt; ob sie alle in den Stimmen, vielleicht auch schon in der Partitur stehen, wieviele gewollt, wieviele ungewollt sind, ungewollt von wem, von wem gewollt: das bleibt gleichgültig, und es ist, in dem Wirrwarr der Tollheit ohne Methode, bei bestem Willen nicht zu unterscheiden. Das Tollste freilich ist: dass die Sache so tut, als wäre sie nun ja, moderne Musik."

Die rekonstruierten Versionen zeigen: Es hatte Methode und war auf gezielte Wirkung bedacht. Wie viel davon 1928 tatsächlich hörbar war, ist fraglich. Heute hingegen haben wir die Möglichkeit, mit Meisels Werk eine späte Versöhnung einzugehen und seine Intentionen nachzuvollziehen, auch wenn wir seine Kompositionen in ihrer ganz authentischen Form nicht mehr hören können.

Richard Siedhoff


DVD-Features

DVD 1

  • Panzerkreuzer Potemkin (Deutsche Kinofassung) 1926, 70'
  • Musikbegleitung vom Deutschen Filmorchester Babelsberg dirigiert von Helmut Imig
  • Kapitelwahl
  • Panzerkreuzer Potemkin (Deutsche Tonfassung) 1930, 49'
  • Soundtrack von Alois Johannes Lippl
  • Kapitelwahl
  • Vintik-Shpintik (Die kleine Schraube) 1927, 10'
  • Umfangreicher ROM-Bereich mit Texten und Dokumenten zu Edmund Meisel und den Filmen

DVD 2

  • Oktjabr' 1928, 116'
  • Musikbegleitung vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin dirigiert von Frank Strobel
  • Kapitelwahl
  • Zehn Tage, die die Welt erschütterten 1928, 35'
  • Klavierdirektion eingespielt von Mark Pogolski
  • Kapitelwahl
  • 24-seitiges dreisprachiges Booklet mit Texten von Thomas Tode, Richard Siedhoff, Stefan Drössler und Petr Bagrov

Herausgeber: Filmmuseum München und Österreichisches Filmmuseum in Zusammenarbeit mit Gosfilmofond, Deutsche Kinemathek, Deutsches Filminstitut und ARTE/ZDF
DVD-Authoring: Tobias Dressel
DVD-Supervision: Stefan Drössler, Oliver Hanley

1. Auflage Dezember 2014, 2. Auflage Februar 2015

TV-Format Originalformat Tonformat Sprache Untertitel RegionalcodeFSK
4:3 (PAL)
1,33:1
Dolby Digital 2.0 (Stereo)
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(mono)
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