Dzim Svante (Sol' Svanetii) & Gvozd' v sapoge

Dzim Svante (Sol' Svanetii) & Gvozd' v sapoge

Edition Filmmuseum 84

Zwei ungewöhnliche Meisterwerke des sowjetischen Stummfilms, die beide in Georgien entstanden sind und lange Zeit unter Verschluss blieben: Das Salz Swanetiens ist das in expressiven Bildern gefilmte Porträt eines abgeschieden in den kaukasischen Bergen lebenden Volkes, Nagel im Stiefel stellt anhand einer Parabel aus dem Krieg zur Zeit der Revolution die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen und führt ganz unverhohlen die späteren stalinistischen Schauprozesse ad absurdum. Beide Filme liegen erstmals in digital restaurierter Form mit neuen Musikbegleitungen vor. Die Musikbegleitungen von Günter Buchwald und Stephen Horne wurden 2011 und 2013 bei den Bonner Stummfilmtagen mit dem ersten Preis des Beethovenfests ausgezeichnet, Masha Khotimskis Musik entstand im Auftrag der Bayerischen Akademie der Schönen Künste und verwendet georgische Chöre.

Die Filme

Dzim Svante (Sol' Svanetii) / Das Salz Swanetiens - UdSSR 1930 - Regie: Michail Kalatozov - Drehbuch: Sergej Tret'jakov - Kamera: Michail Kalatozov, Salva Gegelasvili - Produktion: Sakhkinretsvi / Goskinprom Gruzii

Gvozd' v sapoge / Nagel im Stiefel - UdSSR 1932 - Regie: Michail Kalatozov - Drehbuch: Leonik Perel'man - Kamera: Salva Apakidze - Darsteller: Aleksandr Dzaliasvili, Siko Palavandisvili, Arkardij Chintibidze, Akakij Chorava - Produktion: Sakhkinretsvi / Goskinprom Gruzii

Über Dzim Svante (Sol' Svanetii)

Dzim vante ist weder Spiel- noch Dokumentarfilm, sondern eine moderne Hybridform, schwankend zwischen Kulturfilm und Handlungselementen. Sie folgte keiner dokumentarisch-authentischen Zielsetzung. Faktische Akkuratesse war für Kalatozov erklärtermaßen zweitrangig. Entscheidend war ihm die emotionale Wirkung, der Affekt. Die harte, unmenschliche Behandlung der Schwangeren bei Todes fällen im Dorf beispielsweise war eigentlich in Swanetien nicht üblich, sondern in einer anderen Region Georgiens. Und die Apotheose des enthusiastischen sozialistischen Straßenbaus im letzten Akt hat damals auch (noch) nicht stattgefunden, die Region war noch einige Jahre länger vom Rest der Welt abgeschnitten. Vermutlich hat das Studio bzw. die Zensurbehörde dieses wie aufgesetzt wirkende argumentative Ende und die antireligösen Zuspitzungen erzwungen.

Kalatozov kam es vor allem auf die starken, emotionalisierenden Bilder an, die das Leiden und das harte Leben in dieser Gebirgsregion zeigen das Affektpotenzial des Archaischen und seiner Rituale. Er ordnete die Handlung der visu ellen Kompo sition unter. Zusammen mit seinem Kamerakollegen Salva Gegelasvili fand er eine expressive, avantgardistische Bildsprache, die damals allerdings nur den Moskauer Gleichgesinnten gefallen hat. Der damals in Russland lebende amerikanische Filmkritiker und -historiker Jay Leyda berichtete vom Protest 25 führender Persönlichkeiten Swanetiens, die die dort gezeigten Riten und Bräuche bestritten und lieber die beginnende Modernisierung des Landstrichs im Film gesehen hätten. Die damals übliche öffentliche Diskussion des Films im georgischen Filmstudio führte zum ebenso beliebten wie gefährlichen Vorwurf des "Formalismus" - die ideologische Aussage sei zu schwach und werde von den starken Bildern dominiert. Eigentlich eine zutreffende Diagnose... Der Film verschwand damit 1930 kurz nach der Premiere, die gar nicht genau belegt ist, sogleich wieder von der Leinwand.

Alexander Schwarz


Über Gvozd' v sapoge

Da Kalatozovs Agitprop-Experiment Gvozd' v sapoge bereits vor Kinostart heftig kritisiert wurde, kam es nicht zur Aufführung und der Film blieb bis zu seiner Wiederentdeckung vor einigen Jahren im Archiv vergraben. Kalatozov wehrte sich gegen die schematisierten "Formalismus"-Vorwürfe und die offensichtliche man gelnde Bereitschaft der linientreuen Kritiker (v.a. V. Katinov 1932 in der Zeitschrift "Proletarischer Film") sich mit der raffinierten Ästhetik, dem Konzept der Affektsteuerung und der Verfeinerung des sonst oft recht holzschnittartigen Agitprop-Genres zu befassen. Seine Replik in derselben Zeitschrift begann mit einem Zitat von Vladimir Majakovskij: "Man setze einer blinden Katze ruhig eine Brille auf sie wird trotzdem nichts sehen." Mehrere Seiten lang verwahrte sich Kalatozov in verletztem und auch verletzendem Tonfall gegen die Ignoranz seines Kritikers, wogegen die meisten Kollegen damals zu den berüchtigten Selbstbezichtigungen getrieben wurden. Er verteidigte sich zugleich damit, dass er seine ästhetisch-filmischen Prinzipien bereits in Dzim vante verwendet habe. Die Kritik betone oberflächliche Ungereimtheiten, die jedoch der "Bearbeitung" der faktischen Materie zur Optimierung der Wirkung geschuldet seien. Sie übe formelhafte Formalismuskritik, die seiner ausgefeilten Methode und auch der von Eisenstein geforderten Dialektik der Filmsprache und Argumentation nicht gerecht werde. Die Folge: Kalatasow bekam acht Jahre lang keine weiteren Filmprojekte zugeteilt.

Gvozd' v sapoge ist ein damals so genannter "Verteidigungs-Agitpropfilm" mit einer thesenhaften Themenstellung "Ausschussproduzierer sind Verräter der Verteidigung(sbereitschaft)", für den Auftraggeber Samkhedrofilmi (Militarfilmstudio). Kalatozov setzte sie in Form einer Parabel um und schuf damit einen der eigenwilligsten Filme des Agitprop-Genres. Trotz der klaren thematischen Vorgabe argumentierte er nicht plakativ-eindeutig, sondern vieldeutig, experimentell, verwirrend, verstörend. Weil beim Drehen verbotenerweise auch das militärische Objekt des Arsenals in Tiflis ins Bild geraten war,wurde Kalatozov sogar einige Wochen inhaftiert.

Alexander Schwarz


DVD-Features

  • Dzim Svante (Sol' Svanetii) / Das Salz Swanetiens 1930, 62'
  • Musikbegleitung von Günter A. Buchwald
  • Alternative Musikbegleitung von Masha Khotimski
  • Gvozd' v sapoge / Nagel im Stiefel 1932, 64'
  • Musikbegleitung von Stephen Horne
  • 16-seitiges zweisprachiges Booklet mit Texten von Sergej Kapterev und Alexander Schwarz

Herausgeber: Filmmuseum München und Österreichisches Filmmuseum
DVD-Authoring: Tobias Dressel
DVD-Supervision: Stefan Drössler, Oliver Hanley, Adelheid Heftberger

1. Auflage Februar 2014, 2. Auflage September 2016

TV-Format Originalformat Tonformat Sprache Untertitel RegionalcodeFSK
4:3 (PAL)
1,33:1
Musikbegleitung
Dolby Digital 2.0
(Stereo)
Russisch
Deutsch
Englisch
Georgisch
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